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FAZ: „Den größten Druck üben Investoren aus“

05.08.2021
Dr. Konrad Jerusalem k.jerusalem@argentus.paulvetter.de

Über Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche und den Vorsprung der Industrie

Vier Fragen an: Konrad Jerusalem, Argentus

Wie sehr hinkt die Immobilienwirtschaft mit ihren Nachhaltigkeitsstrategien anderen Branchen hinterher?
Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Immobilienbranche nicht neu, es fehlten jedoch lange Zeit ganzheitliche Strategien. Bisher stand eher eine statische Betrachtung – beispielsweise über Zertifizierungen – im Mittelpunkt. Das Nachhaltigkeitsmanagement war weniger im Fokus. Mittlerweile ist aber den meisten Entscheidern der Branche die Dringlichkeit bewusst, dass die Erderwärmung gestoppt werden muss – und zwar so schnell wie möglich. Die „CO2-Intensität“ entwickelt sich aktuell neben der Rendite als wichtigste Kennzahl der Immobilienwirtschaft. Es geht darum, Nachhaltigkeit aktiv und dynamisch zu managen: durch laufende Messungen, permanente Verbesserung und regelmäßiges Reporting. Verglichen mit der Industrie, in der die Nachhaltigkeit bereits viel früher angegangen wurde, hat die Immobilienbranche noch Nachholbedarf. Dennoch: Die Branche nimmt das Thema sehr ernst, unternimmt derzeit erhebliche Anstrengungen und ist dabei, sich gut aufzustellen.
Was übt den größeren Druck auf die Immobilienbranche aus, sich stärker auf die Nachhaltigkeit einzulassen: Regulierung durch Bund und EU oder Forderungen der Investoren?
Heute kommt der Druck vor allem von den institutionellen Investoren, die zunehmend in grüne Assets investieren wollen. Der Markt sorgt also bereits heute dafür, dass sich die professionellen Immobilieneigentümer um ihren CO2-Fußabdruck kümmern. Eine zunehmende intrinsische Motivation zum verantwortlichen Handeln wird hier verstärkt durch die Befürchtung vieler Investoren, dass „graue“ Immobilien künftig durch Regulierung mit Zusatzkosten belastet werden – die CO2-Abgabe ist dafür ein erstes Beispiel. Damit einher geht die Befürchtung, dass es zunehmend schwieriger werden wird, Käufer für solche Immobilien zu finden. Bisher gibt es zwar durch EU und Bund mit Blick auf CO2 vorgegebene Minderungsziele, aber der genaue Weg dorthin ist noch nicht reguliert. Wir erwarten in den kommenden Monaten und Jahren noch eine Vielzahl von Bestimmungen. Hilfreich wäre ein gut durchdachtes Gesamtkonzept und keine Einzellösungen und Schnellschüsse.
Wo tut sich die Branche bei der Umsetzung am schwersten?
Die Schwierigkeiten beginnen bei der Grundlage – der Datenerfassung und dem Reporting. Denn oft ist unklar, wie viele Treibhausgase die Immobilien überhaupt verursachen. Dieses Problem ist mit intelligenten Messsystemen verhältnismäßig einfach in den Griff zu bekommen. Eine Einschränkung gibt es bei den Verbräuchen der Mieter, gerade bei Wohnungen – dort hat der Eigentümer weder Informationen noch Handhabungsmöglichkeiten. Eine weitere Herausforderung ist die Wirtschaftlichkeit. Die Ankaufsrenditen beispielsweise für hochwertige Büroimmobilien haben fast die 2,5-Prozent-Marke erreicht. Entsprechend klein ist der finanzielle Spielraum – Nachhaltigkeitsmaßnahmen sollten wirtschaftlich attraktiv sein und sich rechnen. Das ist auch möglich, indem zum Beispiel Energieversorgungsverträge gebündelt ausgeschrieben und vergrünt werden, das Facility-Management neu organisiert und die Gebäudetechnik optimiert wird.
Welche Nachhaltigkeitsziele sind sinnvoll, welche nicht?
Im Kern gibt es drei Nachhaltigkeitsaspekte: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Alle drei sind wichtig. Aber es gibt nach meiner Auffassung eine klare zeitliche Priorität: Die Immobilienbranche sollte sich auf die ökologische Nachhaltigkeit konzentrieren. Und zwar speziell auf die Senkung der Treibhausgasemissionen. Hier ist Eile geboten. Angesichts des rasch fortschreitenden Klimawandels werden die Risiken mit jeder Verzögerung größer. Deutschland hat ambitionierte Ziele: Bis 2045 soll das Land klimaneutral sein. Um das zu erreichen, hat die Immobilienbranche noch große Hürden zu nehmen. Zwar lässt sich Neubau einfach nachhaltig planen und bauen, aber über 80 Prozent der Immobilien von 2045 existieren bereits heute. Diesen riesigen Bestand auf Nachhaltigkeit zu trimmen wird eine große Herausforderung. Das kann die Immobilienbranche auch nicht ganz allein. Immobilien werden immer Strom verbrauchen. Daher ist es äußerst wichtig, dass parallel auch der Strommix in Deutschland grüner wird.
Die Fragen stellte Michael Psotta. Download des gesamten Artikels als PDF